Streetfotografie – Ich bin hin und her gerissen!

by Marcel

Anfang des Jahres fand ich das Thema Streetfotografie besonders spannend. Mit einem neuen 35mm Objektiv ausgestattet, sollte es dann auch bald losgehen, doch was sich einem da alles in den Weg stellt hätte ich nun doch nicht gedacht.

Aber was ist überhaupt Streetfotografie? Im Grund genommen nichts anderes, als der Name bereits sagt, die mehr oder minder passive Dokumentation von Geschehnissen und Personen auf der Straße. Streetfotografie kann dabei ein bunter Mix von Szenerien, Portraits, Detailaufnahmen, Tieren, Straßen und allem anderen sein, was in die Serie passt. Nungut, mit Straße, Details, Tieren und Schildern kann man allerhöchstens das Problem haben, dass der Hund, den man grad fotografieren will, einen lieber beißen möchte. Doch passend ausgelöst wirkt das sicher auch super 😉

Ein Bekannter vom Fotostammtisch hat allerdings bereits beim Fotografieren eines Straßenschildes den Unmut eines dortigen Anwohners auf sich gezogen, der direkt rausgesprungen kam und ihn anfuhr, ob er denn gerade sein Haus fotografiert hätte. Anstrengend…

Im Laufe des Jahres wurden die Fotos von Vivian Maier, (Linktipp zu Vivian Maier: artsy.net) die Jahre lang in großen Teilen (die Fotos, nicht die Frau) als nicht entwickelte Filmdosen auf ihre Entdeckung warteten, hoch gelobt und viel verlinkt. Die Szenerien zeigen Fotos aus den 60ern in Amerika, was outfittechnisch, doch auch hinsichtlich der Lebensweise der Menschen für uns spannend anzuschauen ist.

Quelle: http://vivianmaier.blogspot.com/

 

Die Fotografien sind dabei so, wie viele sie als klassische Street-Fotografie empfinden. Neutral, unauffällig und dokumentarisch. Aufgrund der eher kurzen Brennweite ist man doch stets mittendrin und nah am eigentlichen Objekt.

Viele Fotografen juckt es irgendwann mal, sich auch an Streetfotografie zu probieren. Ist doch ganz einfach. Die Welt ist voller interessanter Motive, Gelegenheiten, Szenerien und Menschen und so braucht man eigentlich nur in die Fußgängerpassage zu gehen und loszulegen.

In den USA wird auch genau das gemacht. Bekannte Streetfotografen der heutigen Zeit fotografieren dabei nicht nur unauffällig, sondern schreien die Leute quasi schon an, damit diese irritiert zu ihnen gucken oder springen ihnen im Gehen vor die Füße und blitzen sie an. Ziemlich radikal aus meiner Sicht. Leider habe ich die beiden Videos, die ich hier gerade beschreibe, so schnell nicht wiederfinden können. Vllt. kann mir einer von euch da aushelfen.

In Deutschland und den meisten europäischen Ländern ist man sicherlich gut damit beraten, weniger Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch damit ist es leider nicht getan. Vor meinem ersten Streetfotografie-Versuch habe ich mich ausgiebig über die Thematik informiert und diverse Meinungen und Hinweise verfolgt. Am wertvollsten sind dabei sicherlich die Informationen, die Martin Gommel auf seiner Blog-Seite kwerfeldein.de aus dem Gespräch mit einem Anwalt (und ebenfalls Fotografen) zu dem Thema gezogen hat. Darüber hinaus gab es noch Rückfragen, die der Anwalt ebenfalls ausführlich beantwortet hat (Teil1/Teil2). Eine super Aktion!

Fazit jedoch (für mich)? Man darf eigentlich garnichts! Nichtmal die Personen von hinten oder ohne Kopf zu fotografieren ist erlaubt, sofern die Person und sein/ihr Bekanntenkreis ihn/sie darauf aufgrund Haltung, Statur oder Geste wiedererkennen könnte. Dabei ist anzumerken, dass nichtmal das Fotografieren ohne Erlaubnis erlaubt ist, da man der Person dadurch bereits die Möglichkeit entzieht, auf etwaige Veröffentlichungen Einfluss nehmen zu können. – Nach deutscher Rechtsprechung.

Nun, Lösung des Ganzen? Der einzige Mittelweg. Foto machen, direkt ansprechen, erklären, erläutern, bitten und Karte in die Hand drücken. Bei Bedarf natürlich vor Augen der Person das Foto löschen. Ärger kann man mit der jeweiligen Person sicherlich trotzdem im Rahmen der direkten Konfrontation kriegen, doch das hätte ich in Kauf nehmen können. Mit einer glaubhaften Argumentation und freundlicher Vorstellung des ganzen Projektes hätten sich so vermutlich schon Leute bereiterklärt, Fotos durch mich nutzen zu lassen.

Gesagt, getan! So bin ich also an einem vollen Samstag Vormittag durch Münsters Innenstadt gezogen und habe… kein einziges Foto geschossen. Was?! Ja richtig, ich, der ja sonst nicht auf den Mund gefallen ist, hab mich partout nicht getraut, Fotos zu schießen! Ich bin ja schließlich kein Voyeur, der mit 200mm die Leute vom andern Ende der Straße abschießt, wie es so manche – aus meiner Sicht nicht gelungenen – Fotos zeigen, die mir bei der Suche nach Beispielen vor die Augen kamen. Nein, ich wollte mit 35mm an die Sache ran. 35mm an Kleinbildformat ist allerdings schon recht weitwinkelig. Eine tolle Brennweite für Reportage, also eigentlich genau das Richtige. Nun bin ich auch noch Liebhaber von Streetportraits, von Kopf oder Oberkörper, also noch näher ran, als sowieso. Um dann ein Foto schießen zu können, steht man ungefähr einen Meter entfernt von der Person. Um da nicht aufzufallen, hätte ich die Personen wohl vorher niederschlagen müssen…

Diverse Personen sind mir an dem Tag ins Auge gesprungen, die durchaus ein interessantes Foto hätten ergeben können, doch die hatten mich i.d.R. ebenfalls sofort im Blick, vllt. wegen meiner roten Birne, denn meist schlug mein Puls so hoch, dass ich mich vor Aufregung kaum konzentrieren konnte.

Ein frustrierendes Erlebnis.

<insert photos here> 🙁

Der nächste Versuch ergab sich kurz darauf in Paris. Paris, Frankreich, schöne Menschen, schöne Architektur und… wahrscheinlich niemand, der sich jemals auf meine Seite verirren würde, um sein Foto dort zu finden! 😉

Mit dieser Hoffnung und der gleichen Nervosität wie beim ersten Versuch ausgestattet, bin ich durch Paris gelaufen und habe es umso schneller aufgegeben, dort Streetfotografie betreiben zu wollen. Zu schade war die Zeit, um womöglich Eindrücke durch etwas zu verpassen, was ich noch nicht beherrsche.

Der dritte und letzte Versuch erfolgte mit einer geliehenen Olympus PEN EP1 und Standardlinse. Eine Kompaktkamera wird wohl kaum jemand so ernst nehmen, wie eine große Spiegelreflex, dachte ich mir. Außerdem bietet sie mehr Möglichkeiten, bspw. aus der Hüfte heraus zu fotografieren. Doch auch das war schwieriger, als gedacht. Für entsprechende Aufnahmen, wie ich sie mir vorstellte, musste ich wiederum zu nah ran und auch mit eher am Rand platzierten Fokus ließ die Haltung keinerlei Zweifel daran, dass ich die jeweilige Person anpeilte. Die Fotos aus der Hüfte geschossen haben wiederum eine dermaßen andere Charakteristik, wenn sie überhaupt gelangen, dass es nicht das war, was ich so haben wollte. Die entstandenen Fotos waren demnach auch nichts, was es sich zu zeigen lohnen würde.

So ein Mist! Ist die “Jagd” mit einer langen Tele-Brennweite doch die einzige Möglichkeit, überhaupt Fotos in dem Stil zu machen? Oder muss man doch der Aggressive sein, der den Leuten in den Weg springt?

Wohl nicht. Zwei Fotografen, die es unterschiedlich machen sind Stefan Wensing und Markus Schwarze. Beide fotografieren bei weitem nicht nur die Thematik Street, doch sie haben kreative und ansehnliche Ergebnisse in der Hinsicht.

Stefan ist dabei ein Bekannter vom Fotostammtisch Münster. Er ist gerne auf Reisen und nimmt dabei die oben angesprochene Olympus PEN mit. Sein Stil ist es in erster Linie, Szenerien zu fotografieren. Dafür muss er nicht nah an die Personen ran und er hat die Möglichkeit, Landschaften und Architektur mit in die Arbeiten einfließen zu lassen. Darüber hinaus sind die Personen häufig nur in ihren Konturen, als Schemen oder Schatten erkennbar. Die Ergebnisse sind stets spannend und lassen sich auch gut länger betrachten.

Quelle: www.stefanwensing.de

Quelle: www.stefanwensing.de

Quelle: www.stefanwensing.de

Quelle: www.stefanwensing.de

 

Eine gute Lösung. Stefan ist dabei so oder so mit Leidenschaft ebenfalls Landschaftsfotograf und so kann er seine Kenntnisse aus dem Bereich gut mit einfließen lassen, während die meisten Personen nichtmal mitkriegen dürften, dass sie fotografiert wurden.

Der andere Weg ist der von Markus Schwarze. Er führte im letzten Jahr ein viel beobachtetes Projekt durch. 365 Tage, 365 Portraits und das ausschließlich mit Personen, die er auf der Straße antraf. Eine unglaublich spannende Aktion. Sein fotografischer sowie photoshopbasierter Stil veränderte sich im Laufe der Zeit spürbar und durch die Gespräche, in die er durch das Projekt verwickelt wurde, hat er zu jeder Person auch meist etwas zu erzählen gehabt.

Quelle: http://day.fotowusel.de/ (Markus Schwarze)

 

Quelle: http://day.fotowusel.de/ (Markus Schwarze)

 

Quelle: http://day.fotowusel.de/ (Markus Schwarze)

 

Quelle: http://day.fotowusel.de/ (Markus Schwarze)

 

Doch wie hat er das gemacht? Ziemlich einfach! Markus ging hin und sprach die Leute an, die ihm fotografisch ins Auge fielen. Er erklärte sein Vorhaben und schoss nach Einwilligung ein paar schnelle Portraits. Das oder die fertigen Fotos erhielten die jeweiligen später per E-Mail. Darüber hinaus sicherte er sich die Rechte am Bild mittels Kurzvertrag. Seriös und sicher. Auch da bedarf es sicherlich einiger Vorbereitung. Wie verkauft man das Ganze und wie reagiert man auf welche Fragen?

Das Einzige, was nun noch stört? Es sind bewusste Portraits. Die Personen sind nicht im allgemeinen Tagesablauf, sondern warten auf das Foto. Markus war – soweit ich mal gelesen habe – stets darum bemüht, sie von sich aus wirken zu lassen, doch klassische Streetfotografien sind sie wohl nicht. Das macht sie allerdings nicht weniger schlecht!

Das denken sich wohl auch viele andere und so wird sein Stil der Bearbeitung, der Aufnahmen und der Präsentation mit den dicken schwarzen Balken mittlerweile immer wieder mit Fotos von Verwandten und Bekannten kopiert. *gähn*

Nun überlege ich ebenfalls noch hin und wieder, mich an die Thematik der Streetfotografie zu wagen. Beide oben beschriebenen Vorgehensweisen sind gut, doch fühle ich mich klassisch mehr zu den Portraits hingezogen. Dabei ist das Ansprechen vor dem Foto auf jeden Fall die sicherste, wenn nicht sogar hier bei uns die einzige Möglichkeit, solche Fotos zu machen. Doch bildgestalterisch schweben mir andere Sachen vor.

Also mal schauen, wann ich dazu komme, mich ein viertes Mal an der Streetfotografie zu versuchen 🙂